Meinen Frauenarzttermin hatte ich also endlich am 20. November 2019. Ich musste wirklich hartnäckig um einen baldigen Termin kämpfen, um meine Brust untersuchen lassen zu können. Herzlichen Dank! Im Nachhinein hätte ich am Besten gleich die Praxis gewechselt. Bekanntlich ist man hinterher immer schlauer.
Es macht mich heute, ein Jahr später, immer noch genau so wütend, wenn ich an diesen Tag zurück denke. Deswegen habe ich jetzt auch tatsächlich meine Frauenärztin gewechselt. Gerne erzähle ich Dir, auch warum.
Ich saß also am 19. Dezember im Wartezimmer der Praxis. Ich war nervös. Wirklich nervös. Denn was wäre denn, wenn es etwas schlimmes ist, dieser Knoten? Scheiße. Mir gingen so viele Gedanken durch den Kopf. Ich kam endlich dran und sie tastete meine Brust und den Knoten ab. Anschließend sagte sie unbeeindruckt „Das ist ein Mammakarzinom“.
Ich war etwas verdutzt und fragte sie zurück: "Was ist denn ein Mammakarzinom überhaupt?“ Denn Entschuldigung, ich hab leider keine Medizin studiert und man befasst sich privat äußerst wenig mit Krankheiten und deren Bezeichnungen.
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Ich war etwas verdutzt und fragte sie zurück: "Was ist denn überhaupt ein Mammakarzinom?“ Denn Entschuldigung, ich hab leider keine Medizin studiert und ich befasse mich äußerst wenig mit Krankheiten und damit, wie sie heißen.
Da antwortete sie mir mit ihrer empathielosen Art, ohne mit der Wimper zu zucken: „Das ist ein bösartiger Tumor.“
Wusch! Ich war sowas von vor den Kopf gestoßen und wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Außer ein verdattertes „Äh, ok, und was bedeutet das jetzt?“ kam nicht mehr aus mir heraus. Aber auch da hielt sie sich zurück: „Dazu sage ich nichts, ich halte mich da raus. Das besprechen Sie alles mit Ihrem Brustzentrum. Das Sie sich jetzt noch suchen müssen. Vorher muss eine Mammographie beim Radiologen gemacht werden.“ Sie gab mir zwei, drei Namen von guten Onkolog:innen an die Hand und verabschiedete sich. Das war’s.
Ich ging sehr verstört aus der Praxis, stand planlos da und fing erstmal bitterlich an zu weinen. Denn mir war völlig unklar, was das alles jetzt zu bedeutet hatte. Bedeutet es jetzt, dass ich sterbe und todkrank bin?
Die Art & Weise, wie sie mir ihre - lediglich ertastete Diagnose - überbrachte, ist eine verdammte Unverschämtheit. Sie hat noch nicht einmal einen Ultraschall gemacht. Das ist menschlich und auch ärztlich sehr fragwürdig. Ein eiskalter Eisklotz mit null Empathie und Einfühlungsvermögen. Da hatte sie mich einfach abgewimmelt und weggeschickt. Ich muss wirklich nicht verhätschelt werden, aber sich bei so einer Diagnose ein wenig Zeit zu nehmen, um aufkommende Fragen klären zu können, den ersten Halt zu geben und eine Vertrauensperson als Frauenärztin zu sein. Das hätte ich mir zumindest gewünscht. Schließlich habe ich keinen Vaginalpilz, für den ich mir eben mal eine Salbe in der Apotheke holen kann. Mir ist klar, dass sie ohne Ultraschall, Mammographie oder Stanzbiopsie keine genauen Details sagen kann. Aber dass es ein bösartiger Tumor ist, dass fiel ihr all zu leicht. Ich fühlte mich total überfordert und alleine gelassen.
Als ich weinend auf der Straße stand, fiel mir als aller erstes eine Herzensfreundin meiner Eltern an. Sie kennt mich schon seitdem ich ganz klein bin. Als ich noch ein kleines Mädchen war, durfte ich Blumenmädchen bei ihrer Hochzeit sein. An den Tag erinnere ich mich noch heute so gut. Ich habe dieses Blumenkleidchen und das Streuen der bunten Blüten so geliebt. Sie gehört zur Familie und auch ich fühle mich mit ihr sehr verbunden. Sie bekam vor ein paar Jahren auch Brustkrebs. Mein erster Gedanke war daher sie. Jemand, der mir sehr nahe steht und der weiß, was das bedeuten kann.
Während meiner gesamten Krebsreise war sie ein großer Halt und ein unendliches Geschenk. Es bedeutet mir so viel, dass sie an meiner Seite war und natürlich immer noch ist. Das berührt mich sehr. Denn sie ist ein ganz arg wundervoller Mensch, mit so viel Liebe im Herz. Eine mutige Frau, die so schön bunt ist und in den schönsten Farben strahlt. Ich hab´ sie sehr lieb! Wir haben während dieser Zeit ganz oft telefoniert und uns ausgetauscht. Über Nebenwirkungen, Dinge, die ihr damals sehr geholfen haben und die ich auch einmal ausprobieren kann, wenn ich mag. Ein bunt verpacktes Geschenk mit Liebe, Mut & Kraft darin. Es tat mir gut, jemanden an meiner Seite zu haben, der ähnliches durchgemacht hat und genau weiß, wie ich mich fühle und was vor mir liegt.
Und an diesem Abend, vor der Praxis, tröstete sie mich und hielt mich in Gedanken ganz fest. Sie beruhigte mich und hat mir ganz viele Fragezeichen in meinem Kopf genommen. Denn am Ende kann diese Diagnose alles und nichts bedeuten. Es gibt so viele Arten von Krebs, Zysten und so weiter. Wer weiß überhaupt, ob meine Frauenärztin recht hatte. Heute denke ich mir, dass das auch für sie ein ganz schöner Schock gewesen sein muss, mich weinend am Telefon mit so einer Nachricht zu haben. Ohne Vorwarnung.
In einer Sprachnachricht für eine Freundin sagte ich zu ihr, dass ich keine Ahnung hätte, was dieses Jahr und diese Zeit mir gerade sagen möchten. Aber dass ich glaube, dass ich ganz feine Antennen habe und spüre, dass etwas passieren wird. So was ganz prägendes und arg wichtiges. Dass sich alles verändern wird. So als ob mein Körper und meine Seele die Dinge schon ganz genau wissen, nur mein Verstand noch nicht. Diese Krebsreise ist einfach magisch. Um Dir überhaupt so detailliert davon erzählen zu können, höre ich alte Sprachnachrichten ab und bin immer wieder überrascht. Meine Stimme klingt jedesmal so positiv, stark und hoffnungsvoll. So richtig konnte ich mich gar nicht daran erinnern. Wie schön, dass es solch ein Medium gibt, dass das festhält. Natürlich hatte ich Angst. Große Angst sogar. Ich glaube aber, dass ich mit den Jahren gelernt habe, meine Angst an die Hand zu nehmen und sie nicht wegzudrängen. Denn wenn ich meine Angst immer wieder bei Seite schiebe, kommt sie jedes Mal aufs Neue mit immer mehr Wucht & Kraft zurück und würde folgendes sagen:
"
Hallo!
Hier bin ich wieder.
Deine Angst.
Höre mir endlich zu.
Ich rede so lange, bis Du mir zuhörst.
Lalalalala.
Hallo?
Du kannst mich nicht ignorieren.
Denn ich bin ja da.
Ich hänge an Deinem Bein wie ein kleines trotziges Kind, wenn Du mich nicht beachtest.
Siehst Du?
Nämlich so!
Na, wie findest Du das?
Hörst Du mir jetzt endlich zu?
Ja?
Ja?
Für mich ist das auch echt anstrengend.
Dauernd muss ich mir immer noch mehr Mühe geben, um Beachtung zu finden.
Hallooooo?
Na endlich, Danke.
Ja also eigentlich bin ich genau so verunsichert wie Du, was da jetzt auf mich zukommt.
Kannst Du mich ein wenig beruhigen?
Mir zuhören?
Vielleicht etwas schönes lesen, meditieren oder einfach nur für Dich alleine sein?
Das würde mir sehr helfen.
Ich will Dir nichts böses.
Ich mag nur Deine Hand halten.
Damit ich nicht so alleine bin.
Denn zu zweit geht's doch viel leichter, findest Du nicht?
Hand halten ist etwas schönes.
Schon besser.
Dankeschön, dass Du für mich da bist.
Wir schaffen das zusammen, ist doch klar!
Deine Angst.
"
Ich glaube, ich mag meine Ängste mittlerweile. Ich weiß, sie wollen mir nichts böses. Sie wollen mich beschützen. Und ich möchte sie nicht mehr wegdrängen, sondern ihre Hand halten. Denn auch ich mag Handhalten sehr gerne. Ich möchte vertrauen. Ich habe in meinen Nachrichten davon erzählt, dass ich froh und dankbar war, dass ich in Berlin wohne und jede Menge guter Ärzte um mich herum habe. Ich habe gelacht darüber, dass ich endlich mal um 7 Uhr morgens hellwach bin. Wer mich kennt, der weiß, dass ich kein Morgenmensch bin und es hasse, so früh aufzustehen. Mein Freund sagt immer, dass mein frühes Aufstehen für alle Beteiligten noch schlimmer ist, als für mich selbst. Ich jammere am laufenden Band, bis ich mein Müdesein endlich überwunden habe und mein Bett wirklich bis auf den letzten Fußzeh verlassen habe. Das kann sich hinziehen.
Ich erzählte meiner Freundin davon, dass man grundsätzlich wohl besser keine großen Pläne machen sollte, denn das Universum hat oft einen ganz anderen Plan für Dich und schmunzelt nur „ja ja, plan Du nur…“ Man solle doch einfach leben und sich überraschen lassen, was um die nächste Ecke auf einen wartet, um es freudig in Empfang zu nehmen. Eben die Dinge annehmen, wie sie kommen und sich das Beste wünschen.
Ich glaube, ich konnte das, was da gerade passierte, gar nicht greifen - noch nicht. Ich kam mir vor wie in einem fremden Film, in dem aber ich die Hauptrolle spielen soll. Das Ausmaß war mir überhaupt nicht klar und auch nicht, dass sich mein ganzes Leben ändern sollte. Das nennt man wohl eine sich selbst erfüllende Prophezeiung:
„Lebe einfach und lasse Dich überraschen, was um die nächste Ecke kommt, um es freudig in Empfang zu nehmen.“
Aber was sollte ich meinem Papa sagen? Davor hatte ich an diesem Tag die größte Angst. Schließlich haben wir 2012 meine Mama verloren. Aufgrund einer Krankheit, für die sie noch zu jung war. Und jetzt komme ich und habe Brustkrebs. Zu meiner Überraschung war er sehr gefasst und zuversichtlich. „Wir schaffen das schon, Tochter" (sein liebevoller Kosename für mich).
Am Abend war ich alleine und ganz schön durch den Wind. In einer anderen Sprachnachricht an eine Freundin erzählte ich ihr, ob ich selbst nicht Schuld sei, dass da ein Tumor in mir wächst. Schließlich habe ich sehr lange mich selbst nicht gut behandelt. Ich habe schlecht über mich gedacht, mich klein gemacht oder machen lassen. Ich hatte Zweifel und fühlte mich oft einsam und alleine. Natürlich hatte ich wunderbare Freunde, aber dieses Gefühl hatte nur etwas mit mir selbst zu tun. Ich lebte irgendwie gegen mich selbst, gegen meine Wahrheit. Ich war überhaupt nicht glücklich, lachte nicht mehr unbeschwert und fühlte mich, als wäre um mich herum ein großer, schwerer grauer Schleier. Natürlich fühlt sich da ein böser Tumor sehr wohl und breitet sich aus. Schlechte Gedanken ziehen schlechte Gefühle an und das wiederum äußert sich in allem, was wir sind und tun. Und jetzt war ich an dem Punkt, an dem ich mich dem Ganzen stellen musste. Ein Weglaufen gab es nicht mehr. Es musste sich etwas ändern. Mein Inneres musste sich ändern. Meine Gedanken. Meine Wahrnehmung. Und ich fing an zu weinen, weil Ängste und blöde Gedanken einen so oft daran hindern, glücklich, unbeschwert & lebendig zu sein.
Am nächsten Morgen, am 21. November 2019, saß ich seit Punkt 8 Uhr am Telefon und klapperte alle möglichen Radiologen ab. Auch hier braucht man Geduld. Es klingelt durch, es ist besetzt, es geht ein Anrufbeantworter ran. Man bekommt zich Nummern und jeder sagt, man sei hier falsch. Ein bißchen wie die Reise nach Jerusalem. Beim drölfzigsten Versuch habe ich es geschafft, einen Stuhl zu bekommen. Ich hatte einen Termin für die Mammographie am 3.12. bekommen - das dauerte mir allerdings zu lange und ich versuchte weiter mein Glück. Bis ich dann einen Termin am Montagmorgen, den 25.11.2019, bekam. Den nehm ich! Also hieß es jetzt abwarten und mich bis Montag gedulden. Dann weiß ich endlich mehr. Dennoch sind fünf Tage geduldig sein ganz schön lange.
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