Heute vor einem Jahr war der Tag aller Tage. Das Ergebnis meiner Stanzbiopsie war endlich da. Da werde ich selbst heute noch nervös, wenn ich mich hin diesen Tag hineinfühle. An Anspannung war es nicht zu übertreffen. Ich war ein reines Nervenbündel. Aber wer wäre das nicht in so einer Situation.
Der Befund sollte von der Radiologie an meine Frauenärztin geschickt werden. Die Frauenärztin, die schon in der vorherigen Woche so unglaublich blöd war. Und auch heute sollte es nicht besser werden. Die Praxis öffnete erst um 13 Uhr. Ich hatte jedoch ab 13 Uhr niemanden ans Telefon bekommen. Es war, so erinnere ich mich noch, schon über eine Stunde vergangen und ich konnte immer noch keinen in der Praxis erreichen. Langsam wurde mir das zu blöd und ich fragte meinen Hausarzt, ob er mir die Diagnose eröffnen könnte. Als ich das OK für einen Termin bei ihm um 16 Uhr bekam, rief ich in der Radiologie an und bat sie, den Befund an meinen Hausarzt zu schicken. Dabei sagten sie mir auch, dass der Befund bereits seit heute Morgen bei meiner Frauenärztin liegt. Meine Güte. So eine unfähige Praxis, diese Frauenarztpraxis!
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Ich machte mich also auf den Weg zum Hausarzt, eine liebe Freundin begleitete mich. Ich hatte Angst. Als wir bei ihm im Behandlungszimmer saßen, schaute er mich mit diesem Blick an, den ich nie wieder vergessen werde.
„Es tut mir so leid, aber Ihre Frauenärztin hatte leider recht. Es ist ein bösartiger Tumor. Es ist Brustkrebs.“
Noch heute bin ich tief berührt & bewegt, wenn ich an diesen Augenblick zurück denke. Ein kurzer Augenblick, ein kurzer Satz, der aber eine so große Bedeutung hatte & mein ganzes Leben auf den Kopf stellte. In diesen Tagen trauerte ich um die kleine Verena, um mein inneres Kind. Dass dieses kleine fröhliche Mädchen das erfahren muss. Ich hatte aufrichtiges Mitgefühl für mich selbst. Und das war wiederum sehr schön, denn das hatte ich lange nicht gehabt.
Ich weiß noch, dass ich sofort das Weinen anfing, meine Freundin meine Hand nahm und wir beide weinten. Selbst mein Hausarzt war sichtlich bewegt & betroffen. Scheiße, dachte ich, ich bin dafür doch einfach zu jung. Er erzählte mir aber sofort von allen möglichen Wegen, die man mit Krebs gehen kann. Welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und auch davon, wieviele Unterschiede es gibt. Nicht jede Krebserkrankung ist gleich und somit auch nicht gleich schlimm. Es kommt noch auf so viele Faktoren an, wie mein weiterer Weg sich gestaltet. Er legte mir ans Herz, mir ein sehr gutes Brustzentrum auszusuchen und beantwortete alle meine Fragen, die mir in diesem Moment einfielen.
Mein Tumor in meiner Brust war eine ganz besondere Art von Tumor: eine sehr seltene, höchst aggressive & schnell wachsende Form, den nur 9% der betroffenen Frauen haben. Und ich war jetzt eine von ihnen. Es war ein Neuroendokriner Tumor. Welcher sich wunderbar tarnen & verstecken kann und deshalb selten frühzeitig erkannt wird. Denn es ist eine Art Tumor, bei dem der Primärtumor (der Haupttumor) überall in meinem Körper sein kann und das in meiner Brust wäre dann eine Metastase. Deshalb müssen nun alle möglichen Untersuchungen gemacht werden, um auszuschließen, dass ich keine Metastasen oder einen anderen Tumor im Körper habe.
Das machte mir eine unendliche Angst, mehr als ich sie doch eh schon hatte. Mein Hausarzt war ein Herz, er nahm sich eine ganze Stunde Zeit für mich, meine Fragen und meine Tränen. Als ich ging durfte ich ihn feste drücken. Er erzählte mir, dass er vier Töchter hat und sich als Papa gut hinein fühlen kann. Vor einigen Wochen habe ich ihn in der Praxis besucht, um ihm DANKE zu sagen. Denn den Halt, den er mir gab, ist unbezahlbar & mehr als Gold wert. Ich bin ihm dafür zutiefst dankbar. Er freute sich riesig, dass ich gekommen bin und erinnerte sich noch gut an diesen Tag im November 2019. Er war froh, dass sich alles zum Guten entwickelt hat. Ein toller Arzt! Mein Hausarzt legte mir nahe, doch nochmal zu meiner Frauenärztin zu gehen. Sie hat einfach noch viel mehr Expertise und könnte mir genauer sagen, wie es nun weiter geht.
Als meine Freundin und ich die Türe raus waren, bin ich erst einmal in ihrem Armen zusammengebrochen. Ich hatte mein Weinen gar nicht mehr unter Kontrolle, es kam einfach alles aus mir herausgeplatzt. Sie tat mir so leid in dem Moment, dass sie das auch mit mir aushalten musste. Ich glaube nämlich, dass es für den Menschen, der einen begleitet, auch nicht so leicht ist. Das alles so nahe mitzuerleben. Auch dafür und so viel mehr bin ich ihr dankbar. Auch sie, wie so viele mehr, ist ein Goldstück.
Wir machten uns also auf den Weg zu meiner Frauenärztin. Ich hatte vorsorglich einen Termin vereinbart. Bei meiner Frauenärztin angekommen saßen wir im Behandlungszimmer und zu unserer aller Überraschung sagte sie nicht viel. Achselzuckend bestätigte sie sich selbst und ihre Diagnose, die sie zuvor stellte. Auf meine Frage hin, was das nun bedeuten würde, erwiderte sie nur, „dass ich mir ein Brustzentrum suchen müsste, die kümmern sich dann um alles. Sie ist da raus.“ Natürlich ist sie das. Was hab ich auch anderes erwartet. Ich konnte es nicht glauben, obwohl ich doch schon eine Woche vorher Zeuge von ihrer Unart geworden bin. Sie gab mir zwei drei Brustzentren an die Hand, schrieb mich 2 Tage krank und das war’s. Danke für nichts. Wobei, sie hat mir das Brustzentrum, in dem ich dann schließlich war, empfohlen. Und dafür bin ich ihr dankbar.
Fast drei Stunden später zuhause angekommen, rief ich erst einmal meinen Papa an. Danach kamen zum Glück zwei andere liebe Freundinnen und blieben eine Weile bei mir. Ich wollte & konnte auch nicht alleine sein. Ich war überfordert. Auch damit, den Menschen Bescheid zu geben, die wussten, dass ich die Befunderöffnung hatte. Das waren gar nicht viele. Meine Familie und die engsten Freundinnen - sie hatten schon vergeblich versucht, mich zu erreichen. Als ich wieder alleine war, rief ich meine Cousine an. Wir haben so viel zusammen gelacht - das hatte ich an diesem Tag gar nicht erwartet - obwohl wir schon immer sehr viel zusammen lachen.
Ich fragte mich, was nun auf mich zukommen würde. Ob ich wirklich Metastasen habe oder schlimmer, einen anderen Tumor. Ob ich um eine Chemotherapie herumkommen kann, ob ich meine Haare verlieren würde. Ich wollte unbedingt meine Haare behalten. Meine Brust schmerzte von der Biopsie. Mir gingen immer wieder diese "bösen" Wörter durch den Kopf: Brustkrebs, bösartiger Tumor, Chemotherapie. Damit verbindet doch niemand etwas Schönes, sondern stellt sich einen krank aussehenden, abgemagerten Menschen vor. Das wollte ich auf keinen Fall werden!
Ich wollte positiv denken & an das Positive glauben. Also hab ich meinem Tumor einen Namen gegeben. Egon. Ich fand Egon prima. Egon war der Inbegriff meiner ganzen Untaten mir selbst gegenüber. Schlechte Gedanken, kein an mich glauben, mich gehen lassen, all die Untaten der Männer, die sich wie Idioten verhalten hatten. Mich hängen gelassen und ent-täuscht hatten. Mich verletzt hatten. Mir ist klar, dass ich auch daran beteiligt war und dennoch, so manches Arschloch bleibt eben eines. Meine schlimmen Erfahrungen mit meiner Oma, die sich all zu oft wie der Teufel höchstpersönlich aufgeführt hat. Dabei wünschte ich mir immer eine Oma, die liebevoll & herzig ist. Eine Kuscheloma. In meiner Verhaltenstherapie, die ich seit 2018 machte, hatte ich all diese Erlebnisse aufgearbeitet und auch mein eigenes Verhalten reflektiert & so besser verstanden. Und Egon, er war einfach das alles. Ich hatte das Gefühl, dass sich all der ganze Mist in meiner linken Brust, auf der Herzseite, zu einem dicken fetten Klumpen entwickelt hat. Jede Zelle meines Körpers hat diese Erfahrungen geheilt und in die Brust geschickt. Und das aus nur einem Grund. Damit es ein für alle mal gehen kann. Ich wollte loslassen und abschließen. Und das vergangene Jahr hat mich wunderbar darauf vorbereitet.
Egon könne sich warm anziehen. Ich liebte ihn zwar, denn er war ein wichtiger Teil von mir. Er bestand aus meinen Zellen, meinem Fleisch und Blut und irgendwie auch aus meinen Erfahrungen, mit denen ich meinen Frieden geschlossen hatte. Es war ja kein Fremdkörper, der in mir drin war. Er erstand in mir & durch mich. Aber er durfte gehen, ganz liebevoll wollte ich ihn gehenlassen, meinen Egon. Und mit ihm mein altes Leben. Die Ruhe der letzten Wochen und Monate hat mich genau die Kraft tanken lassen, die ich jetzt brauchen würde.
Ich entschloss mich also dafür, raus zu gehen und zu leben. Es war ein schrecklicher und zugleich wunderschöner Tag, dieser Mittwoch.
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