Mutige Kriegerin des Nordens

Heute vor einem Jahr habe ich meine Familie & alte Freunde in meiner Heimat besucht. Ich hatte große Sehnsucht und ganz kurzfristig einen Zug gebucht und konnte für ein Wochenende abhauen.

 

Mein Kopf war voll, ich konnte nicht mehr richtig schlafen, geschweige denn einschlafen. Das war nur noch mit einem kleinen Lichtchen möglich. Immer wieder kamen mir die Gedanken in den Kopf, was ist, wenn ich es nicht schaffe. Was ist, wenn mein Körper das nicht mitmacht. Mein Herz versagt. Wenn ich danach seelisch völlig am Ende bin.

 

Bei meiner Familie & meinen Freunden fand ich den Halt & Zuspruch, den ich gerade so dringend brauchte. Sie glaubten ganz fest an mich & daran, dass ich es ganz sicher schaffen würde. Das glaubte ich ja schon auch, aber die andere Option - den Tod - gab es trotzdem. Ich wollte meine Gefühle in diese Richtung nicht wegschieben, sondern sie zulassen. Die Gedanken zulassen, was denn dann wäre, wenn ich sterbe.

 

Ich vernachlässigte das Essen & Trinken, mir war permanent grummelig & flau im Magen. So vieles prasselte auf mich ein & es gab plötzlich so viele Dinge, die ich klären musste. Ich sehnte mich so sehr nach den liebevollen Umarmungen & einer klitzekleinen Verschnaufpause. Und die bekam ich.

 

...

Eines der ersten To Do´s, welche ich zuhause noch hatte, war, ein Brustzentrum zu finden. Ich klingelte mich also direkt nach dem Aufwachen & noch im Nachthemd durch. Ich rief zu Beginn in der Charité an und bekam tatsächlich einen Termin in einer Woche. Oh wunderbar! Dann versuchte ich es weiter in einem anderen Brustzentrum bei mir in der Nähe und kam durch. Als ich der Schwester antwortete, wie alt ich bin & welchen Tumor ich habe, sagte sie mir, ich solle mich SOFORT auf den Weg machen. Ich war leicht irritiert und antwortete ihr "ich bin aber noch im Nachthemd!". Na ich solle mich gleich fertig machen und danach ins Brustzentrum kommen. "Also wann sind Sie ungefähr hier?". Keine 90 Minuten später saß ich in einem vollen Wartezimmer. Gefüllt mit Menschen, die traurig drein blickten. Die weinten, Hände hielten. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich dachte, dass ich scheiße nochmal viel zu jung für das hier bin.

 

Als ich endlich aufgerufen wurde ging alles Schlag auf Schlag. Mir wurde Blut abgenommen und es wurden sehr viele weitere Arzttermine für mich vereinbart. Alles zur Abklärung, ob ich Metastasen oder einen anderen Primärtumor habe. Ich wurde darüber aufgeklärt, wie eine Chemotherapie in etwa abläuft, die das ist, wenn man die Haare verliert. Ansprechpartner in Perückenläden, Taxifahrten, die mich zur Chemotherapie bringen würden, weil ich zu schwach sein würde, mich selbst auf den Weg zu machen.

 

Meine nächsten Wochen waren also vollgestopft mit Terminen beim Kardiologen, Neurologen, immer wieder im Brustzentrum, beim Nuklearmediziner, für die Port-OP beim Chirurgen und schließlich auch im Kinderwunschzentrum. Meine Ärztin fragte mich nämlich, ob ich schon Kinder hätte oder mir Kinder wünschte. Bis zu diesem Zeitpunkt war es mir überhaupt nicht bewusst, dass mein Kinderwunsch nun mit einem Fragezeichen versehen war. Ich schaute sie mit großen Augen an und sagte

 

„Ja, ich möchte unbedingt irgendwann Mama sein!“

 

Sie legte mir ans Herz, mich an eine Kinderwunschpraxis zu wenden. Es könnten verschiedene Maßnahmen getroffen werden, sodass im Nachgang eine Schwangerschaft auch auf künstlichem Wege möglich ist, sollte es auf natürlichem Wege nicht mehr klappen. Garantieren jedoch könne man mir nichts mehr.

 

Wusch! Das war eine noch schlimmere Nachricht als der Krebs selbst. Mein Leben lang träume ich von meiner eigenen kleinen Familie. Von eigenen Kindern, meinen drei Kindern. Die ich schon jetzt so sehr liebte und sehnlichst vermisste, obwohl sie noch nicht einmal da waren. Aber sie waren in meinem Herz. Ich konnte nur noch weinen. Rotz und Wasser weinen. Den Termin in der Kinderwunschpraxis hatte ich gleich am nächsten Tag. Es war eine wundervolle Praxis mit einer ganz herzigen Ärztin. Ich fühlte mich sehr gut aufgehoben und hatte nun drei Möglichkeiten:

 

 

Option 1

Eizellen entnehmen & einfrieren lassen. Bei späterem Kinderwunsch könnte ich mich künstlich befruchten lassen.

Option 11

Eierstockgewebe entnehmen & einfrieren lassen. Das könnte ich mir beim Kinderwunsch wieder einsetzen lassen. Jedoch ist es fraglich, ob sich in meinen Eierstöcken nicht doch winzig kleine Krebszellen befinden und ich mir, wenn ich gesund bin, das kranke Gewebe wieder einsetzen lasse.

Option 111

Mich mit Monatsspritzen in eine künstliche Menopause versetzen lassen. So wird der Unterleib geschont, weil er während der Chemotherapie nicht mehr aktiv am Arbeiten ist.


Ich musste mich schnell entscheiden. Denn mein nächster Zyklus kam in einigen wenigen Tagen und es musste, wenn ich mich für die Entnahme von Eizellen entscheiden würde, schnell begonnen werden. Ich dürfte also meine Periode gar nicht erst bekommen. Da hatte ich das Thema Kinder vor der Nase. Ich wünschte mir über alles Kinder. Aber ich war schon so lange Single. Und jetzt musste ich mich für eine oder zwei Varianten entscheiden, obwohl ich noch nicht mal einen dazugehörigen Mann an meiner Seite hatte. Die ganze Prozedur würde mehrere tausend Euro kosten und klar war, dass ich das Geld nicht hatte. Aber sollte mein Kinderwunsch daran scheitern, dass ich mir das nicht leisten kann? Wegen dem scheiß Geld? Meine Verzweiflung kann ich noch heute nicht in Worte fassen. Ich wollte doch nicht krebskrank und später auch noch kinderlos sein. 

 

Mir wurde nicht nur bei diesem Thema klar, dass ich auf meine Familie und auf meine Freunde angewiesen bin. Ich brauchte Hilfe. Nicht nur beim Kinderwunschthema. Sondern auch darüber hinaus. Wie sollte ich das alleine in Berlin stemmen? Wer kauft mal ein, kocht oder erledigt Dinge für mich, wenn ich nicht mehr die Kraft dazu habe. Mir war klar, dass die Chemo mir alles abverlangen würde, mir jegliche Kraft rauben würde. Es kann ja nicht ständig jemand bei mir sein.

 

Ich fuhr an diesem Wochenende auch in meine Heimat, um über die ganze Situation mit meiner Familie zu sprechen. Während der Familienkonferenz hatten wir eine wundervolle Lösung für meinen Kinderwunsch gefunden, für die ich auf immer und ewig unendlich dankbar bin. Diese Lösung und das möglich machen bedeutet mir die Welt. Das nahm eine riesige Last von meinen Schultern und hat mich aufatmen lassen. Ich entschied mich also, mir Eizellen entnehmen & einfrieren zu lassen und zusätzlich für die Monatsspritzen. Das war mir eine sichere Variante und ich würde damit alles mögliche tun, um später irgendwie doch noch Kinder bekommen zu können.

 

Weiter überlegten wir, ob ich nicht für die Zeit der Chemotherapie nach Hause, in meine Heimat, kommen sollte. So könnte meine Familie bei mir sein und sich um mich kümmern. Aber das fühlte sich völlig falsch an für mich. Krank, aber nicht zuhause zu sein. Zwar mit der Familie zusammen, aber von meinen Freunden & meinem eigenen Zuhause getrennt. Nicht in meiner gewohnten Umgebung zu sein. Wir beschlossen also, dass ich das bei mir zuhause in Berlin durchziehe. In Berlin sind die besten Ärzte und meine Familie würde sich abwechseln und mich im zwei/drei-Wochen-Rhytmus besuchen kommen. Damit konnte ich gut leben und war beruhigt. So würden wir es gut schaffen. Alle zusammen.

 

Und auch ich war mir auch immer sicherer, dass ich das alles gut meistern würde. Trotz vieler Ängste, Unsicherheiten und wilder Gedanken. Ich war fest entschlossen und schaute immer wieder auf meine Wunschcollage. Denn darauf ist ein Bild, das mir unendlich viel Kraft schenkt. Noch heute. Ich als starke & mutige Kriegerin des Nordens. Ich hatte zwei Jahre zuvor ein Fotoshooting bei der Zeitschrift Happinez gewonnen. Wir verbrachten einen Tag lang an der Ostsee und lernten die Kunst des intuitiven Bogenschießens. Dieses Bild zeigt mir immer wieder, wieviel Kraft, Mut und Intuition ich in mir trage. Dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur auf mich selbst vertraue. Dass ich alles erreichen kann, was ich mir wünsche, wenn ich loslasse und mich einlasse. Auf das Unbekannte. Denn wenn ich das tue, mein Ziel loslasse, auf meinen Körper & meine Intuition höre, führt mein Leben mich genau dort hin, wo ich sein soll...

"

Der Bogen hat eine ganz wichtige Bedeutung für mich:

Ich bin eine überaus mutige, stolze, kraftvolle und vertrauende Frau,

die die Gabe hat, sich selbst so zu verändern,

dass sie intuitiv ihren ureigenen Weg gehen kann.

 

"


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