
Der Heimatbesuch war in jederlei Hinsicht ein Segen. Ich hatte ein wenig Zeit, um die vielen Eindrücke, Gefühle & den Stress der letzten Tage sacken zu lassen. Mir tat es so gut, meine Familie um mich herum zu haben. Dieser hoffnungsvolle Zuspruch, den mir meine Familie schenkte, hat mir so viel Kraft & Mut gegeben. Sie waren alle durchweg positiv gestimmt. Sie glaubten alle fest daran, dass ich das schaffen werde. Natürlich würde ich das. Es gibt einfach keine andere Option. Sie würden mir fest zur Seite stehen, sich abwechseln mit Besuchen. So könne jeder mal bei mir sein, wenn ich Unterstützung brauche.
Das beruhigte mich sehr, irgendwie einen Fahrplan zu haben. Zu wissen, ich bin definitiv nicht alleine und doch zuhause in Berlin. Ich würde meine Freunde um mich herum haben, mein gewohntes Umfeld und auch in Abständen immer einen Teil meiner Familie. Mal würde meine Tante mich besuchen kommen, mein Papa, mein Cousin mit seiner liebsten Freundin und mal mein Bruder oder meine Schwägerin. Bis Mitte April, so lange würde die Chemotherapie dauern, war das irgendwie schon machbar. Schließlich liegen zwischen meiner Heimat und meinem Zuhause in Berlin 600km.
Und auch ich selbst konnte mir wieder ein Stückchen mehr Halt geben. Ich wollte fest daran glauben, gut durch diese Zeit kommen zu können. Dass ich wieder gesund werden würde. Irgendwie würde ich das durchstehen. Ich musste einfach. Und doch, plagte mich die andere Seite der Medaille. Was, wenn ich Metastasen habe? Was, wenn der Krebs schon sehr weit fortgeschritten ist? Was, wenn die Chemotherapie nicht anschlägt? Was, wenn ich nicht geheilt werden kann? Alles waren irgendwie stille und heimliche Gedanken rund ums Sterben. Eben um das endlich sein.
...
Ein unschönes & nahezu Tabuthema, wie der Krebs selbst. Keiner redet gerne darüber, weil es unangenehm ist. Mit solchen Themen befasst sich niemand gerne. Bis er selbst davon betroffen ist. Direkt oder indirekt. Aber ich fand und finde es heute noch wichtig, sich damit zu befassen. Denn treffen kann es nunmal jeden und am Ende seiner Tage muss jeder durch diese Türe gehen. Ob er nun möchte oder nicht.
Ich bin der Meinung, dass diese Gedanken, rund um die eigene Endlichkeit, durchaus ihre Berechtigung haben. Heute habe ich mit einer lieben Herzensfreundin telefoniert und ich habe mich gefragt, weshalb es uns so schwer fällt, dem bewusst zu werden. Weshalb das so oft in den Hintergrund rückt. Dass wir Prioritäten oft anders setzen, als wir sie im Herzen setzen möchten & sie uns gut tun würden. Meine Frage konnte ich heute nicht eindeutig beantworten. Meine Freundin auch nicht. Es mag vielleicht ein Prozess sein, dieses für sich herauszufinden. Fakt ist aber, dass solch ein Schicksalsschlag einen sehr doll wachrüttelt und aufweckt. Die Konfrontation mit dem Tod ist wirklich krass beängstigend. Und doch vertraute ich immer wieder darauf, dass die Dinge genau so kommen, wie sie kommen sollen. Auf manches habe ich eben keinen Einfluss. Ich kann nur versuchen, den Weg so schön & wahrhaftig zu gestalten, wie ich kann. Das beruhigte mich wieder. Und dennoch habe ich über diese Gedanken mit meiner Familie nicht gesprochen.
Ich erinnere mich noch daran, als mein Papa sonntags (nach meinem Heimatbesuch) mit mir nach Berlin gekommen ist, dass ich wütend wurde. Dass mich die positiven Kommentare á lá „Du schaffst das!“ und „alles wird gut!“, die mein Papa äußerte, rasend machten. Ich hatte das Gefühl, niemand will sich auch mal mit der anderen, schmerzhaften Seite, auseinander setzen. Keiner spricht drüber. Wie konnten sie denn so selbstverständlich davon ausgehen, dass alles gut werden würde? Und was, wenn nicht? Wo blieb deren Angst um mich? Bitte verstehe mich nicht falsch. Natürlich war ich dankbar für all die Zuversicht, denn sie war echt, das spürte ich. Das war weder toxische Positivität, noch rosarotes Sonnenschein-Getue. Aber ich spürte eben nur diese eine Seite. Und das machte mich wütend. Vielleicht war ich aber auch so wütend, weil das eine Phase der Erkrankung war. Wut. Ich wollte diese Gedanken und meine Wut aber nicht wegschieben. Denn dann würden sie umso doller und mit immer mehr Wucht zurückkommen. Ablehnung bedeutet Anziehung. Annehmen bringt ein Loslassen mit sich. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Mein Papa blieb einige Tage bei mir & unterstütze mich bei den ganzen Dingen, um die ich mich kümmern musste. Während seinem Besucht musste ich zum Kardiologen, mein Herz untersuchen lassen. Glücklich kam ich zurück, denn mein Herz war gesund. Nur meinen schönen orange gepunkteten Regenschirm habe ich in der Praxis vergessen - der liegt noch heute da!
Einen Farbklecks wollte ich mir gerne in Form eines neuen Sofas in mein Zuhause holen. Denn meine alte Couch hatte ich einige Wochen zuvor verkauft. Mein Wohnzimmer sollte mein Atelier werden, in dem ich mich kreativ austoben kann und irgendwann auch Workshops geben kann. Mein Papa schlief die Tage auf einer Klappmatratze. Es wurde also Zeit, für ein Neues. Ich wollte während der Behandlung nicht immer nur im Bett liegen. Außerdem würden mich ja abwechselnd meine Familie besuchen kommen, die brauchten ja einen vernünftigen Schlafplatz. Ich schaute mich zunächst online um und entdeckte ein geblümtes Sofa aus den 50ern. Die Begutachtung vor Ort werde ich auch nie vergessen, als mein Papa mich kritisch & förmlich bettelnd zugleich anschaute und sagte: "Bitte bitte, darauf will ich nicht schlafen. Das ist ja so alt wie ich!" Ok Papa, Du bekommst ein neues Sofa.
Am Ende wurde es ein Traum in Himbeere. Gekauft haben wir es aber noch nicht. Erst einmal drüber schlafen und ganz sicher sein. Ist Papas Art, nicht meine. Ich hätte es schon längst in der Wohnung stehen. Aber das hole ich dann mit meiner Tante nach, die ganz bald zu mir nach Berlin kommen würde. In der Kinderabteilung suchte ich mir etwas für mich & meinen Kinderwunsch aus. Ein Schnuffelzebratuch. Ich nannte ihn Marty. Und jetzt, Ein Jahr später, habe ich erfahren, dass das Zebra für meinen Neuroendokrinen Tumor steht. Das ist magisch, oder? Ich glaube ja, man trägt so viel mehr Ahnung & Weisheit in sich, als man sich bewusst ist.
Irgendwann fragte mich mein Papa, ob ich nicht so eine Berufsunfähigkeitsversicherung hätte. Die hätten wir doch abgeschlossen, als ich 16 war und ich mit meiner Ausbildung angefangen hatte. Daran dachte ich gar nicht, kramte in meinen Unterlagen und siehe da: tatsächlich habe ich so eine Versicherung! Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ja schon, dass ich mindest ein ganzes Jahr lang krankgeschrieben sein würde. Eher länger wie kürzer. Ich rief also bei der Versicherung an und fragte nach. Und ja, die Versicherung zahlt eine monatliche, nicht zu verachtende, Rentensumme. Die mich rettete. Es war zwar ein ganz schön bürokratischer Akt, der sich aber - in meinem Fall - sehr gelohnt hat.
Der Höhepunkt in diesen Tagen war der Besuch vom Notarzt. Ich hatte meine erste Panikattacke gehabt, von der ich natürlich in diesem Moment nicht ausging. Sondern vielmehr dachte ich, ich hätte eine Gehirnblutung oder irgendetwas anderes schlimmes. Ich hatte einfach eine große Angst im Hinterkopf und immer noch die Ungewissheit, Metastasen zu haben oder nicht.
Dieser Moment des komisch Fühlens im Kopf machte mir Panik. Es fühlte sich flauschig an im Kopf. Meine Mama hatte Hirnbluten und diese Gedanken plagten auch mich, dass meine Erkrankung irgendetwas mit Ihrer Krankheit zu tun hatte. Ich wusste nicht, wie sich Hirnblutungen anfühlten, hätte mir aber vorstellen können, dass da etwas in meinem Kopf passiert. Ich wusste mir nicht zu helfen. Mein Papa auch nicht. Und so verlor ich jegliche Hemmung und rief die 112 an. Zwei wirklich wunderbare Männer kamen die Türe rein, während ich immer noch auf dem Boden lag. Hier unten ging es mir irgendwie besser. Sie checkten meinen Blutdruck und meine Zuckerwerte, aber alles war ok. Ich konnte ja auch nicht wirklich erklären, wie ich mich fühle. Ich erzählte ihnen von meiner Diagnose und sie nahmen sich Zeit, hörten mir zu & beruhigten mich. Das half mir sehr. Mir ging es relativ schnell besser und es war klar, dass sonst alles in Ordnung mit mir war. Eine intensive Erfahrung, so eine Panikattacke.
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